Hyperaktivität

Zwischen Chaos und Apathie

Hyperaktive Kinder sind seit Jahren ein Thema in den Medien. Ihre Zahl ist im Steigen. Von der Umgebung gemieden, werden sie meist zu Außenseitern. Mit mehr Hilfe statt Ausgrenzung ließe sich ihr Leiden in vielen Fällen verringern.

Den Klassenkasper gab es schon immer, irgendeiner spielt für die anderen den Clown. Auch der „Zappelphilipp“ ist keine moderne Erfindung. Der Frankfurter Kinderarzt und Humorist Heinrich Hoffmann hatte ihn im „Struwwelpeter“ bereits vor gut 150 Jahren verewigt. Was damals eine seltene Ausnahme war, gilt mittlerweile als psychosoziales Grundproblem. Glaubt man Medien und Statistikern, so wimmelt es in deutschen Schulen und Kinderzimmern geradezu von „Quälgeistern“ und „Nervtötern“. Zwischen drei und zehn Prozent aller Kinder sind nach wissenschaftlichen Untersuchungen von Hyperaktivität betroffen, die Zahl der allgemein Verhaltensauffälligen wird sogar doppelt so hoch geschätzt.

Hyperaktivität hat viele Gesichter, das Spektrum reicht vom „liebenswerten Minichaoten“ bis zum „schwer erziehbaren Monstrum“. Nicht alle kindlichen Störungen münden in aggressives Verhalten, manchmal zeigen die Betroffenen auch stark depressive Züge. Einige Fachleute meiden daher den Begriff „Hyperaktivität“ und sprechen lieber vom Aufmerksamkeits-Defizit- Syndrom (ADS). ADS-Kinder sind unfähig, ihr Verhalten zu steuern und auf ihre Umgebung angemessen zu reagieren. Oft sind sie laut und unbeherrscht, was zu Konflikten mit Gleichaltrigen und Erwachsenen führt. Viele sind chronisch unkonzentriert und leicht ablenkbar und werden so fast zwangsläufig zu Schulversagern. Nicht selten neigen sie zu Wutanfällen, die bei Müdigkeit ins Extreme ausarten können. Auf der körperlichen Ebene werden häufig Verdauungsstörungen und Ess-Süchte beobachtet, vor allem Heisshunger auf Süßes.

Hilflosigkeit bei den Eltern und erschreckende Unkenntnis selbst bei Lehrern führen zu typischen Fehleinschätzungen wie „der könnte doch, wenn er nur wollte“. Solche Stereotype halten sich ebenso hartnäckig wie das Vorurteil, hyperaktive Kinder seien einfach nur schlecht erzogen oder gehörten in die Hände eines Nervenarztes.

Je weniger die Bezugspersonen des Kindes dessen Verhalten verstehen, desto wahrscheinlicher sind auf Dauer Ausgrenzung. Das Psychopharmakon Ritalin wird gerne verordnet, obwohl sein Einsatz heftig umstritten ist. Es handelt sich um ein Aufputschmittel, das bei Hyperaktiven eine paradoxe Wirkung zeigt. Die Erklärung hierfür ist einfach: ADS-Kinder sind im Grunde genommen müde und geschwächt und versuchen diesen Zustand durch dauernde Selbststimulation zu kompensieren. Das anregende Ritalin nimmt ihnen diese Aufgabe ab und macht sie dadurch gelassener.

Die meisten hyperaktiven Kinder fühlen sich nicht wohl in ihrer Haut, doch für einige ist das Unverständnis der Umwelt erst die wahre Katastrophe. Einige denken sogar an Selbstmord.

Da die Wissenschaft auf viele Fragen zum Thema Hyperaktivität noch keine Antwort weiß, ist Selbsthilfe unabdingbar. Der Arbeitskreis Überaktives Kind (AÜK) ist für Rat suchende Eltern eine wichtige Anlaufstelle. Er bietet persönliche und telefonische Beratung an und hält ständigen Kontakt zu Forschern und Therapeuten. In der schulmedizinischen Behandlung der Hyperaktivität haben sich Medikamente, Verhaltenstherapie und bedingt Diätetik bewährt. Die genannten Methoden könnten sich durchaus ergänzen, keine von ihnen ist ausschließlich richtig oder falsch. Welches Kind auf welche Therapie am besten anspricht, ist kaum vorhersehen.